Ein Wesenszug der bürgerlichen „Kultur“ ist ihr
Konservatismus. Die Bürgerlichen reden dann davon, das Bewährte zu erhalten, um
Neues darauf aufzubauen. Nun könnte es aber auch so sein, daß das Neue eine
neue Basis bräuchte. Und was machen die Bürgerlichen dann?
Nun, sie machen das, was sie immer machen: sie belegen das
Universum mit einer Veränderungssperre, weil nicht sein kann, was nicht sein
darf. Dann sind sie mit einer neuen Idee auch schon fertig, ohne sich der Mühe
unterziehen zu müssen, über diese auch nur ernsthaft nachzudenken.
Zu allem Überfluß aber meinen sie weiterhin, die
wirtschaftliche Entwicklung mit einem Wachstumszwang versehen zu müssen. Ohne
dieses aufgesetzte, aufgepreßte Wachstum würde sonst ihre ganze Wesensgrundlage
wegfallen.
Originäres wirtschaftliches Wachstum erfolgt aber nur bei
ständiger Modernisierung, auch technischer Modernisierung, sprich bei ständiger
Veränderung. Wie an anderer Stelle schon gesagt: Veränderungen finden einfach nur statt. Sie ereignen sich, weil sie es
können. Es gibt keinen Vorlauf und keinen Nachlauf. Es gibt keine
Übergangsphasen. Es gibt keine Ankündigung. Wer aktiv teilhaben will, kann sie
nur antizipieren, geistig vorwegnehmen. Dennoch wacht er eines Tages auf – und
die Welt ist eine andere. Wenn er liegen bleibt, lebt er sein Leben zu Ende.
Wenn er aufsteht und das Neue annimmt, kann er sein Leben gestalten.
Jeder, der sich mit
den Lebenszyklen von Produkten befaßt, erkennt auf einen Blick, daß wirkliches
Wachstum nur in einem sehr engen Zeitfenster stattfindet. Der absteigende Teil
verläuft (hoffentlich) flach, er sorgt auch weiterhin für Absatz. Aber er liegt
schon in der Phase, in der wiederum Neues entstehen muß. Da läßt sich über
künstlich erzeugten Wettbewerb oder über Liberalisierung der Märkte soviel
diskutieren wie man möchte. Wenn das Wachstumsfenster durchlaufen wurde, dann
ist es vorbei mit der Erhaltung des Bewährten.
Ebenso vorbei wie
hilflos ist die augenblicklich nervtötende Diskussion über Resourcenschonung
und Gerechtigkeit. Beides sind lebenswichtige Elemente des Zusammenlebens der
Menschen. Das ist keine Frage. Aber sie haben nichts, aber auch gar nichts
gemein mit der Notwendigkeit der ständigen Modernisierung, um überhaupt
sinnvolles Wachstum zu ermöglichen.
Das beste Beispiel
dafür ist die sogenannte Energiewende. Welch ein Hohn! Nichts von all dem
Geschwafel über intelligente Einspeisungssteuerung und über intelligent
geregelte Übergangsphasen und noch intelligentere Brückentechnologien führt zu
irgendeiner Lösung des Kernproblems: der Speicherung. Und genau derjenige, der
dieses Problem löst, der ist auch derjenige, der neues Wachstum durch
Richtungsänderung bewirkt. Und der ist es auch, der damit Geld verdient – was
er dann auch verdient hat. Aber was passiert tatsächlich: Die Politik der
bürgerlichen Mitte wartet auf die Eingebungen der bürgerlichen Märkte. Und alle
zusammen warten auf Godot!
Das (Un-)Schöne an
der ganzen Sache ist, daß dieses Verhalten mit so ziemlich allen anderen
größeren und kleineren Fragen zur Zeit bestens korrespondiert.
Staatsschuldenkrise oder demographischer Wandel sind dabei die augenfälligsten
Beispiele. Was soll ich um alles in der Welt mit einer
Neuverschuldungsbegrenzung von 3%, wenn die auf der Annahme von 5% (in Worten –
F Ü N F –) Wachstum basiert, aber nichts weit und breit in Sicht ist, womit die
erreicht werden sollen (Und jetzt komme mir bloß keiner mit der sogenannten
Finanzindustrie; einer reinen Umverteilungsmaschine, ohne das geringste
Wachstumspotential!). Was soll ich mit der Reduzierung von Ausgaben, weil die Bevölkerung
ja schrumpft! Liebe Leute, wenn die Bevölkerung schrumpft, dann stirbt sie aus.
Der Prozeß geht schneller als ihr gucken könnt! Sparen braucht ihr auf diesem
kurzen Stück des Weges dann auch nicht mehr. Aber aufwachen, das solltet ihr
vielleicht doch irgendwann einmal. Am besten ganz, ganz schnell!
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im März 2014